"E-Autos sind der Einstieg"

Verkehrsforscher Andreas Knie über Carsharing, Elektromobilität und die künftige Rolle der großen Autohersteller.

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Verkehrsforscher Andreas Knie über Carsharing, Elektromobilität und die künftige Rolle der großen Autohersteller.

Andreas Knie, 50, ist Professor für Soziologie an der TU Berlin sowie Gründer und Geschäftsführer der InnoZ GmbH, die Wirtschaft, Politik und Verwaltung bei Verkehrsfragen berät. Außerdem ist er Bereichsleiter bei der DB Rent GmbH, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, die Car- und Bikesharing-Programme betreibt, und betreut das Projekt "BeMobility" in Berlin.

Technology Review: Welche Rolle wird das Auto in zehn bis zwanzig Jahren spielen?

Andreas Knie: Wir werden wir es immer noch nutzen zur Fortbewegung, die uns flexibel von A nach B bringt, und zwar zur eigenen Zeit im eigenen Raum. Aber ob wir dabei das Auto dann auch noch eigentumsrechtlich erwerben müssen und es permanent zur Verfügung haben, ist fraglich. Sharing-Konzepte, bei denen wir ein Auto immer nur dann bezahlen, wenn wir es brauchen, werden sicherlich zunehmen.

TR: Was sind denn die Vorteile von Carsharing? Für den Verkehr und die Umwelt ist es doch egal, ob ich mit einem eigenen oder einem geliehenen Auto im Stau stehe.

Knie: Sie bedeuten eine bessere Auslastung der Fahrzeugflotte. Ein Carsharing-Auto ersetzt jetzt schon ungefähr 16 Privatwagen. Und es gibt ja weltweit keinen Ballungsraum, der noch mehr Autos vertragen könnte.

TR: Aber die Zahl der Menschen, die zeitgleich auf der Straße sind, reduziert sich dadurch doch nicht?

Knie: Nein, aber wir haben eine unglaubliche Flexibilität der Arbeits- und Lebensstile zu beobachten. Das heißt, die klassischen Peaks, wie wir sie in den fünfziger Jahren noch hatten, wo wirklich alle morgens früh zur Arbeit gefahren sind, die haben wir gar nicht mehr. Wir haben nur noch geringe Morgen-Peaks, übrigens auch schon in China, und praktisch keine nachmittäglichen Peaks mehr.

TR: Welche Rolle spielt die Elektromobilität beim Auto der Zukunft? Wo genau ist das Problem, das sie lösen würde?

Knie: Sie macht vom Energieträger unabhängig. Im Verkehr selber sind 90 Prozent aller Aktivitäten auf fossiler Basis organisiert. Mit dem Elektroauto können wir viel mehr unterschiedliche, dezentrale Energieträger einsetzen und uns vom Öl lösen.

TR: Es wird ja immer wieder behauptet, wenn Elektroautos mit dem normalen deutschen Strommix geladen werden, hätten sie mitunter einen größeren CO2-Fußabdruck als ein moderner Diesel.

Knie: Das ist nicht richtig. Selbst wenn wir eine, fünf oder zehn Millionen elektrische Autos hätten, ist ihr Klima-Fußabdruck allemal besser als der von konventionellen Verbrennungsautos. Aber wirklich gut sind elektrische Autos erst dann, wenn ich sie in Sharing-Konzepten einsetzen kann, zur Effizienzsteigerung des Verkehrs. Einfach ein Verbrennungsfahrzeug durch ein Elektroauto zu ersetzen und damit dann genauso im Stau zu stehen, bringt für den Verkehr nichts, da haben sie vollkommen recht.

TR: Wenn überall Sharing-Autos zur Verfügung stünden – würde das nicht den öffentlichen Nahverkehr kannibalisieren?

Knie: Beim Berliner Projekt BeMobility versuchen wir, genau das Gegenteil zu erreichen. Und so absurd es klingen mag – es scheint zu funktionieren.

Zunächst einmal bieten wir knapp 50 elektrische Autos aller Marken einfach nur im klassischen Carsharing an. Der Witz dabei ist: Elektrische Autos adressieren Leute mit hoher technischer Affinität. Viele von ihnen überlegen sich bereits, ob sie noch einen eigenen Wagen brauchen. Und jetzt bietet das elektrische Sharing-Auto noch mal einen zusätzlicher Anreiz, das alte Auto abzuschaffen: Es hat eine hohe technische Wertschätzung und ist viel, viel angenehmer zu fahren.

Aber dadurch, dass man mit elektrischen Autos eben nicht 250 Kilometer weit fahren kann, muss man sich auch Alternativen wie Bus und Bahn überlegen. Insofern ist das elektrische Auto für uns ein Werbemedium, um mehr Menschen in den öffentlichen Verkehr zu bringen. Und das scheint nach den ersten beiden Befragungswellen auch zu funktionieren. Wir können belegen, dass elektrische Autos der Einstieg in die vernetzte Mobilität sind.

TR: Was bedeutet das für die großen Autohersteller?

Knie: Der hohe Wettbewerbsdruck in der Auto-Industrie führt dazu, dass sie sich sehr schnell am Kunden ausrichtet und neue Konzepte entwickelt. Es gibt im Moment keinen deutschen Hersteller, der kein Mobilitätsdienstleistungsangebot hätte. Der einzige große Problembereich, den wir in Deutschland haben, ist der öffentliche Verkehr. Dort bewegt sich noch relativ wenig.

TR: Der individuelle muss jetzt dem öffentlichen Verkehr Anschub verschaffen?

Knie: Ja. Wenn man sich fragt, wer in Zukunft den städtischen Verkehr organisieren und daran Geld verdienen wird, kann man heute sagen, dass die Automobilhersteller wesentlich besser aufgestellt sind, denn sie haben schon eine Flotte von Sharing-Fahrzeugen. Und dann ist es nur noch ein Schritt zu sagen: Dann organisiere ich auch den öffentlichen Verkehr. Das heißt, ich biete entsprechende Tarife an mit durchgängigen Check-in- und Check-out-Vorgängen, dann muss man nicht mehr getrennt nach Verkehrsmitteln abrechnen, sondern alle Fahrten werden durch technische Zauberhände ermittelt und in Rechnung gestellt.

TR: Sehen Sie zwischen Verkehrsbetrieben und Autoherstellern noch Raum für eine dritte Partei, einen unabhängigen Mobilitätsdienstleister, der die verschiedenen Angebot bündeln würde?

Knie: Es wird immer mal wieder darüber spekuliert, dass zum Beispiel Google oder die Deutsche Telekom eine solche integrierende Rolle übernimmt. Und dann gibt es noch die Energieversorger, die sagen: Wir haben die Infrastruktur, wir haben die Endkundenkontakte, warum sollen wir dann nicht auch die Versorgung mit öffentlichen Verkehren organisieren? Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, ist man praktisch beim alten Stadtwerke-Konzept. Es gibt also mehrere Kandidaten. Aber wir sehen im Moment noch keinen, der es wirklich macht.

Außerdem sind die Autobauer durch ihre Nähe zu den Zukunftsmärkten intellektuell schon einen Schritt weiter und entwickeln ihre Marken entsprechend weiter. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein unabhängiger Provider sich über diese Marken stellt. Aber das wird noch ein spannender Kampf werden.

TR: Was steht der Integration von öffentlichem und privatem Verkehr denn eigentlich noch entgegen?

Knie: Dem steht eigentlich noch alles entgegen. Erstens: Die wettbewerbs- und ordnungspolitischen Voraussetzungen sind noch nicht gegeben. Der öffentliche Verkehr ist nicht unternehmerisch, sondern auf Verlässlichkeit angelegt. Wettbewerbsorientiertes Denken ist dem öffentlichen Verkehr quasi genommen worden.

TR: Warum ist das ein Problem?

Knie: Weil, wenn die Verkehrsbetriebe ein attraktives Produkt anbieten und dadurch mehr Einnahmen erzielen, sie auch in Gefahr sind, die Zuschüsse gekürzt zu bekommen – ohne zu wissen, ob die neuen Einnahmen auch dauerhaft tragen werden. Das heißt, sie haben überhaupt keinen Anreiz, irgendwas Riskantes zu tun. Und solange ich das nicht habe, werde ich mich nicht bewegen.

TR: Und zweitens?

Knie: Wir haben getrennte Abrechnungswelten, getrennte Datenwelten, getrennte Vertriebswelten. Hier brauchen wir eine Integration der Angebote. Und dann kommt das dritte Problem: Wir haben noch keine interessanten Geschäftsmodelle für Unternehmen, die Mobilitätsdienstleistungen als Paket bündeln.

TR: Welche Aufgaben ergeben sich daraus für die Politik?

Knie: Es muss das Personenbeförderungsgesetz neu organisiert werden. Das liegt gerade zur Entscheidung wieder im Kabinett, wird jetzt in den Bundestag gehen. Und dort ist nicht vorgesehen, dass wir eine Wettbewerbslandschaft in der intermodalen [der Kombination unterschiedlicher Verkehrsträger, d. Red.] Form haben. Dort sind Unternehmen gezwungen, sich weiterhin sehr autistisch zu organisieren. Außerdem bräuchten wir zum Beispiel auch eine neue Definition von öffentlichen Sondernutzungen oder von öffentlichen Stellflächen.

TR: Was heißt das konkret?

Knie: Man muss die Parkraumbewirtschaftung wirklich konsequent machen. Das heißt, nicht 40 Euro im Jahr für einen Parkplatz, sondern 40 Euro im Monat, vielleicht 25, 30 Euro am Tag. Dann würden es sich die Leute gut überlegen, wohin sie mit dem eigenen Auto fahren. Und wenn dann ein Angebot für ein Carsharing-Auto kommt, mit dem man ohne Gebühren parken kann, dann haben wir ganz schnell eine ganz andere Wettbewerbslandschaft. (grh)